Projekt Sauerteig, Teil 1 – theoretische Grundlagen

Sauerteig ist für mich seit vielen Jahren ein spannendes Mysterium. Irgendwie lebt es vor sich hin, man weiß nie so recht, was genau darin lebt, aber es muss regelmäßig gehegt, gepflegt und gefüttert werden. Zudem ist dieses eigenartige Ding unabdingbar für gutes, handwerklich hergestelltes Brot.
Nachdem ich mal wieder Stunden auf dem →Plötzblog unterwegs war, hat mich der Ehrgeiz gepackt auch endlich genießbares Brot aus meinem Ofen zu holen. Daher war es allerhöchste Zeit, mich näher mit dem Thema Sauerteig zu beschäftigen…

Bevor es mit dem ersten Versuch losging, einen eigenen Sauerteig anzusetzen, mussten erst mal viele offene Fragen über das „Mysterium Sauerteig“ geklärt werden. Im ersten Teil von meinem Sauerteig-Projekt geht es daher ein wenig um die Theorie, d.h. was ist Sauerteig, warum wird er so dringend für gutes Brot gebraucht, kann man ihn überhaupt selber herstellen und ist selbstgemachter Sauerteig nicht das Gleiche, wie die Päckchen im Supermarkt?
Im → zweiten Teil folgen meine praktischen Erfahrungen mit hausgemachtem Sauerteig aus Roggen- und Weizenmehl samt einer genauen Anleitung, wie ihr einen eigenen Sauerteig züchten könnt.

Sauerteig besteht grundsätzlich aus Mehl bzw. Schrot – meistens vom Roggen oder Weizen – und Wasser. Dieses Gemisch ist mit homo- und heterofermentativen Milchsäurebakterien sowie verschiedenen Hefen besiedelt und erst dadurch wird der Teig zu Sauerteig. Diese lebenden Mikroorganismen – genauer gesagt ihre Stoffwechselprodukte – sind für die zahlreichen, positiven Eigenschaften des Sauerteigs auf die gebackenen Brote verantwortlich. Dabei unterscheidet sich die genaue Zusammensetzung der verschiedenen Hefen und Bakterien von Sauerteig zu Sauerteig und dadurch natürlich auch das Backergebnis. Das erklärt auch, warum manche traditionellen Bäcker ihren Sauerteig über Generationen hinweg pflegen und nichts davon abgeben wollen.

Was genau im heimischen Sauerteig lebt ließe sich nur mit aufwendigen Laboruntersuchungen herausfinden. Dank der spezifischen Stoffwechselprodukte der drei typischen Bewohner kann man aber auch selber einiges in Erfahrung bringen. Homofermentative Milchsäurebakterien bilden lediglich Milchsäure, die als relativ mild wahrgenommen wird. Heterofermentativen Milchsäurebakterien bilden zusätzlich entweder Essigsäure oder Alkohol und außerdem Kohlendioxid. Dank dem gebildeten Kohlendioxid verursachen sie, neben den Hefen, auch die Bläschenbildung und damit die Volumenvergrößerung im Teig.

Zwar lässt sich bei einem spontan vergorenen Sauerteig nicht direkt beeinflussen, welche Organismen den Teig besiedeln, aber über die Führungstemperatur kann man Einfluss darauf nehmen, welche sich besonders stark vermehren.
In der Tabelle seht ihr eine grobe Einteilung der jeweiligen Temperaturoptima sowie die Stoffwechselprodukte der einzelnen Mikroorganismen:

  homofermentative Milchsäurebakterien heterofermentative Milchsäurebakterien Hefen
ideale Temperatur (ca.) 30 °C 25 °C und darunter über 25 °C
Stoffwechselprodukte Milchsäure Milchsäure, Essigsäure, Alkohol, Kohlendioxid Alkohol, Kohlendioxid

Das bedeutet, dass durch die Temperatur der Geschmack des Brotes maßgeblich beeinflusst werden kann. Da Essigsäure leichter flüchtig ist als Milchsäure und daher auch als stärker wahrgenommen wird, schmecken bei niedrigeren Temperaturen geführte Teige deutlich saurer als bei höheren Temperaturen geführte Sauerteige. Und obwohl die Stoffwechselprodukte so unterschiedlich sind, ist die Nahrung der drei Mikroorganismen dieselbe: Zucker. Dieser wird durch Enzyme (Amylasen) von der Stärke im Mehl abgespalten.

Enzyme sind auch der Grund, warum sich kein ordentliches Roggenbrot ohne Sauerteig backen lässt. Damit Brot überhaupt aufgeht und eine lockere Krume entsteht, muss das Kohlendioxid in einem Stärkegerüst eingefangen werden. Getreideeigene Enzyme im Roggenmehl bauen aber genau dieses Stärkegerüst ab. Das hat zur Folge, dass die Krume in sich zusammen fällt und das Brot ungenießbar wird. Die von den Bakterien im Sauerteig gebildete Milch- und Essigsäure führt zu einer deutlich wahrnehmbaren Säuerung des Teiges und damit zu einer Hemmung dieser Enzyme. Schon ab 20% Roggenmehl im Teig muss gesäuert werden.

Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten Roggenteig zu säuern und dadurch backfähig zu machen. Hier kommen die mit „Sauerteig“ oder „Sauerteig-Extrakt“ bezeichneten Päckchen aus dem Supermarkt ins Spiel. Das Ergebnis ist aber nicht mit dem selbstgezogenen, lebenden Organismus Sauerteig vergleichbar. Dieser hat zahlreiche weitere Vorteile und positive Auswirkungen auf die Brotqualität:

Geschmack
Die verschiedenen Milchsäurebakterien und Hefen bilden zahlreiche Aromastoffe bzw. deren Vorstufen und sind damit für den charakteristischen Geschmack von Sauerteigbroten zu einem großen Teil mitverantwortlich. Zudem bleiben die Aromastoffe in Broten mit natürlichem Sauerteig länger erhalten.

Ernährungsphysiologie
Die Teigsäuerung führt zu einer besseren Verfügbarkeit der Mineralstoffe, welche ursprünglich fest im Roggenmehl gebunden sind.

Haltbarkeit und Frischhaltung
Mit Sauerteig hergestelltes Brot bleibt deutlich länger frisch und ist nicht so anfällig für Verderb, z.B. durch Schimmel, wie anderweitig gesäuertes oder ungesäuertes Brot.

Und nicht zuletzt: der Spaß und die spannenden Erfahrungen mit dem eigenen, selbstgezogene Sauerteig!
Wie gesagt ist Sauerteig für ein gutes, selbstgebackenes Brot – bis auf wenige Ausnahmen – unerlässlich. Zwar sind manche Bäcker so freundlich, und geben bereitwillig eine Portion von ihrem Sauerteig ab, aber ich finde es eine schöne Sache ganz bei null anzufangen – wenn man schon versucht, selber Brot zu backen. Außerdem hat es mich sehr fasziniert, wie aus einfachem Mehl und Wasser über ein paar Tage hinweg etwas Lebendiges wird, sich währenddessen deutlich verändert, verschiedene Aromen verströmt, die Konsistenz verändert und schließlich (hoffentlich) die Grundlage für ein ordentliches Brot bildet.

Bewährtes Zubehör zum Brotbacken Zuhause findest Du auf locavore.euDas waren soweit die wichtigsten Grundlagen kurz zusammengefasst. Im →zweiten Teil geht es um die Praxis! Hier erfahrt ihr in einer ausführlichen Anleitung, wie sich ein eigener, frischer Sauerteig züchten lässt. Der → dritte Teil behandelt die Pflege, das Auffrischen und Haltbarmachen von Sauerteig.

Noch mehr Informationen zum Thema Sauerteig findet ihr unter anderem auch im →Brotbackbuch von Lutz Geißler (ich werde es euch hier bald ausführlich auf Culinary Farm vorstellen!) und in seinem oben schon erwähnten →Plötzblog. Empfehlen möchte ich euch auch die →Fachbroschüre Nr. 25 „Sauerteig“ vom Wissensforum Backwaren sowie das →Handbuch Sauerteig vom Behr’s Verlag. Hier eine kleine →Leseprobe auf Google Play. (Zugegeben, ich habe es selber noch nicht gelesen – und würde es daher in der Regel auch nicht empfehlen – aber die Leseprobe hat mir sehr gut gefallen, wobei es eigentlich nicht für den Hausgebrauch, sondern für den professionellen/industriellen Bereich geschrieben ist.)

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